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Das Dienstbüchlein wird digital: Effizienz & Sicherheit für die CH Milizarmee

Das einst papierbasierte Dienstbüchlein wird durch eine sichere, effiziente digitale Lösung ersetzt. Dank modernem Identity- und Access Management (IAM) und smarter Prozessautomatisierung wird nicht nur der administrative Aufwand reduziert, sondern auch die Datensicherheit auf ein neues Level gehoben.

Ausgangslage

Die Schweizer Armee ist die militärische Verteidungseinrichtung der Schweiz und zeichnet sich durch ihre Neutralität, ihrem Milizsystem und der daraus resultierenden Wehrpflicht aus. 

Die Soldaten der Milizarmee sind keine Berufssoldaten, sondern Zivilisten, die regelmässig militärische Dienste leisten. Alle Angehörigen der Armee (AdA) leisten zunächst eine Grundausbildung, gefolgt von regelmässigen Wiederholungskursen. Nach aktiver Dienstpflicht bleiben die meisten Schweizer Soldaten als Reservisten in der Armee und können im Bedarfsfall einberufen werden. 

Zentral für die Koordination der Einsätze und Kontrolle der Diensttage ist das Dienstbüchlein. Es ist ein zentrales Dokument, dass alle relevanten Informationen über den Militärdienst einer Person zusammenfasst und dient als eine Art militärischer Lebenslauf. Es dient zudem als offizieller Nachweis der Dienstpflicht. Darin werden zum Beispiel alle militärischen Daten (Funktion, Einteilung, Grad) und geleistete Diensttage nachgeführt. Das Dienstbüchlein in seiner Papierform wird von Hand befüllt.  

Gerade bei der jüngeren Generation entspricht das nicht mehr den Erwartungen und Bedürfnissen an so ein offizielles Dokument, das den militärischen Werdegang eines AdA festhält. Zudem stellte es aus administrativer Sicht einen Mehraufwand für die Milizarmee dar, der in digitaler Form wegfallen würde.

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«Für manch einen ist das Dienstbüchlein eine Erinnerung an eine wichtige Etappe im Leben. Für die jüngere Generation ist es in seiner Papierform nutzlos und auch ein Zeichen von Nostalgie.»
Christian Zogg Programmleiter Digitalisierung Milizarmee

Im Rahmen der Vision Schweizer Armee 2030 wurde entschieden, das physische Dienstbüchlein durch eine digitale Lösung zu ersetzen. Damit werden zum einen die Bedürfnisse der nachrückenden Generation der Wehrpflichtigen berücksichtigt und gleichzeitig führt es zu mehr Effizienz in der Administration.

Technische, organisatorische und kulturelle Hürden: Der Weg zum sicheren digitalen Dienstbüchlein

Der Entscheid stellte das Projektteam, die für die Digitalisierung der Milizarmee zuständig ist, sowohl vor technische als auch rechtliche und organisatorische Herausforderungen: 

  •  Hohe Anforderungen an die Datensicherheit, Datenschutz, Datenintegrität und Verfügbarkeit

Das Hauptelement des Dienstbüchleins sind die darin enthaltenen Daten. Es enthält unter anderem sensible persönliche und militärische Daten, die man vor unbefugtem Zugriff und Manipulation schützen muss. Der Umgang der Daten ist hoch reglementiert, so untersteht die Privatsphäre der Wehrpflichtigen dem Datenschutzgesetz, und alle militärischen Daten unterstehen dem Informationsschutzgesetzt. In seiner physischen Form stellt das Dienstbüchlein auch ein Risiko in Bezug auf den Datenschutz dar. Gleichzeitig möchte man mit einer Webapplikation aktuelle Daten ohne Unterbruch anbieten können. Die hohe Verfügbarkeit der Daten stand im Kontrast zu den hohen Sicherheitsanforderungen. Bisher mussten schützenswerte Daten nicht für alle zugänglich gemacht werden, und konnten lediglich in einer geschützten Datenbank gesichert waren. 

 

  • Schwerfälligkeit durch analoge Administration 

Für die Überführung des Papierwerks in eine digitale Umgebung müssen auch die bestehenden Prozesse nicht nur End-to-End digital abgebildet, sondern dabei auch das Potential der heutigen Technologien genutzt werden. In vielen Prozessen werden Daten aus verschiedenen Umsystemen von unterschiedlichen Stellen benötigt. Ein Dienstverschiebungsgesuch aufgrund von Studium zum Beispiel muss zusätzlich von der Beratungsstelle der Hochschule auf die inhaltliche Richtigkeit der Studienangaben geprüft werden. Dazu musste der AdA vor der Eingabe des Gesuches an die Militärbehörde die Hochschule / Uni aufsuchen und die Bestätigung einholen, bevor es an das Militär eingereicht werden konnte. In vielen Fällen lief der Prozess per Briefpost ab. Ob ein Antrag mit allen erforderlichen Unterlagen vollständig war, konnte erst nach Eintreffen des Antrags in der Verwaltung festgestellt werden. Das Nachreichen von Unterlagen erforderte Telefonate oder Briefe, um fehlende Unterlagen einzufordern. (siehe Abb. 1)


Bisher startete der administrative Prozess eines Dienstverschiebungsgesuches als Formularantrag und ging per Post an die zuständige Militärbehörde. Vorgesetzte der Kompanie (Kommandanten) oder Kursverantwortliche wurden im Prozess via E-Mail oder Telefon zur Stellungnahme einbezogen. Am Schluss wurde das Gesuch mit allen Unterlagen eingescannt, damit es im internen Armee System archiviert werden konnte. Die Bestätigung an den Gesuchsteller erfolgte wiederum physisch per Post (siehe Abb. 1). Jeder Prozessschritt erfolgte manuell und dauerte oft mehrere Wochen.

Ablauf Dienstverschiebungsgesuch manuell per Briefpost

Abb. 1: Ablauf Dienstverschiebungsgesuch manuell per Briefpost
Abb. 1: Ablauf Dienstverschiebungsgesuch manuell per Briefpost
  • Kultur Clash — zwischen Agilität und Hierarchie  

Die agile Arbeitsweise in der IT auf der einen Seite und hierarchischen Strukturen mit Wasserfall-Prozessen in den Fachabteilungen der Armee galt es zu verbinden. Denn eine zukunftssichere Lösung steht oder fällt mit der Übersetzung der fachlichen und regulatorischen Anforderungen aus den Fachabteilungen der Armee in technische Lösungen der IT. Auch wenn alle Experten mit Herzblut dabei sind, reicht Motivation allein nicht aus. So galt es nebst den fachlichen und technischen Herausforderungen, auch Herausforderungen in der Zusammenarbeit zu lösen. 


Die Milizarmee stand unter enormen Druck, den durch das Parlament vorgegebenen Termin einzuhalten und sich mit ihren Herausforderungen auseinanderzusetzen. Es galt keine Zeit zu verlieren, denn die Umsetzung der digitalen Lösung muss bis Anfang 2026 abgeschlossen sein. 

 
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«Wir verarbeiten Steuergelder und haben eine zeitliche Vorgabe. Bis 2026 muss das Dienstbüchlein vollständig digitalisiert sein. Das ist ein Auftrag, der erfüllt werden muss!»
Christian Zogg Programmleiter Digitalisierung Milizarmee

Der Dienstmanager: das neue digitale Dienstbüchlein

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Abb. 2 Der Dienstmanager: das neue digitale Dienstbüchlein
Es wurde schnell klar, dass man externe Unterstützung brauchen würde. Mittels öffentlicher Ausschreibung wurde für den Aufbau des Kundenportals und die digitale Transformation Unterstützung angefragt. Dabei überzeugte ipt mit umfangreicher Expertise bei der Konzeption und Bau komplexer Individuallösungen und ihrer Erfahrung im militärischen Umfeld. Das Projekt Team Dimilar (Digitalisierung Milizarmee) und ipt arbeiteten Hand in Hand an einer nachhaltigen Lösung unter Einhaltung der hohen Anforderungen. 

Die Lösung zeichnet sich durch die folgenden Aspekte aus: 

 

  • Identity und Access Management (IAM) für mehr Sicherheit 

Der Zugang auf den Dienstmanager läuft mittels dem V-Login der Schweizer Armee. Diese bestehende IAM Lösung wurde in den Dienstmanager nahtlos integriert, damit sind die Daten wortwörtlich militärisch gesichert und die Nutzer haben eine nahtlose Benutzererfahrung. Für alle Nutzer gilt eine 2-Faktor Authentifizierung. IAM stellt die Identitäten der Benutzer sicher und über entsprechende Rollen wird der Zugriff auf sensible Daten im Dienstmanager (portal-armee.ch) kontrolliert sichergestellt.  
Es werden nur die relevanten Daten aus dem Verwaltungssystem der Armee bezogen und besonders schützenswerte Daten, wie zum Beispiel persönliche oder medizinische Daten, werden in der Datenbank zusätzlich verschlüsselt abgelegt, so dass nur der Benutzer, in unserem Fall der AdA, die Daten betrachten kann. Die hohen regulatorischen Vorgaben konnten zu 100% erfüllt werden, trotz der Darstellung von sensiblen Daten im Dienstmanager.

  • End-to-End Digitalisierung und Automatisierung von administrativen Prozessen für mehr Effizienz

Die administrativen Prozesse, wie z.B. des Dienstverschiebungsgesuchs, wurden in alle Einzelteile zerlegt und in einem Prozesslayer abgebildet. Der Prozesslayer greift auf umliegende Umsysteme, wie das Personal- und Informationssystem der Armee und des Zivilschutzes und weitere Backend-Systeme zu und bildet diese in der Frontendapplikation, dem Dienstmanager, ab. Wie einen Oldtimer, den man Schraube für Schraube auseinanderbaut und schaut welche Autoteile man für ein modernes E-Auto braucht. So wurden die vielen analogen administrativen Prozesse auseinanderlegt und kritisch hinterfragt: welche Regularien müssen eingehalten werden, wie können wir es eventuell anders machen und wie können wir auch die Usability für unsere Mitarbeitenden verbessern? Nicht immer ist die Lösung, alles direkt zu automatisieren. Beim Dienstverschiebungsgesuch z.B. ist es wichtig für den Kommandanten zu wissen, ob seine Einsatzplanung aufgeht.


Gleichzeitig wurden die Prozesse so weit automatisiert, so dass Armeemitarbeitende so wenig wie möglich in die Hand nehmen müssen. Der neue, digitale Prozess leitet die Personen durch die Antragsstellung und stellt sicher, dass alle notwendigen Fragen und Unterlagen mit eingereicht werden. Innerhalb weniger Minuten wird der vollständige Antrag empfangen und durch automatische Zuweisung an die richtige Person, welche das Gesuch bearbeitet, weitergeleitet. Der Wehrpflichtige, der AdA, sieht auch jederzeit wo sich sein Antrag befindet. Wird es abgelehnt, kann er es im Dienstmanager bequem wieder aufrufen und Unterlagen anpassen und neu einreichen. Die durchschnittliche Antwortzeit von einem Dienstverschiebungsgesuch konnte nun von mehreren Wochen auf wenige Tage erheblich reduziert werden. 

 

Ablauf Dienstverschiebungsgesuch im Dienstmanager

Abb. 3: Ablauf Dienstverschiebungsgesuch aufgrund von Studium digital im Dienstmanager Por
Abb. 3: Ablauf Dienstverschiebungsgesuch aufgrund von Studium digital im Dienstmanager Portal
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«Dank des digitalen Kommunikationswegs können Gesuche innerhalb von wenigen Minuten empfangen, bearbeitet und der Entscheid über das Gesuch digital zurückgeschickt werden.»
Michael Alexander Junker Chef Entwicklung & Projekte, Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS

3.    Kulturelle Brücken bauen für mehr Verantwortung und nachhaltige Lösungen 

Der Grundstein für eine gute Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Arbeitskulturen ist Verständnis füreinander. Um dieses aufzubauen und zu verfestigen, galt es zuzuhören und zu verstehen, wie die Strukturen und Prozesse innerhalb der Schweizer Armee funktionieren. Eine gute Zusammenarbeit zwischen IT und Fachabteilung ist ausschlaggebend für die Übersetzung der fachlichen Anforderungen in IT-Lösungen. 
Die fachlichen Anforderungen wurden von den ipt Consultants aus technischer Sicht gechallenged. In diesem Zusammenspiel konnten alle fachlichen Anforderungen umgesetzt und der Fokus auf die Nachhaltigkeit der Lösung gesetzt werden. So konnten Kosten für die Umsetzung der Features, die Auswirkungen auf den späteren Betrieb und natürlich sicherheitsrelevante Aspekte berücksichtigt werden. Zum Beispiel wurde die Architektur simplifiziert und Microservices sinnvoll geschnitten, da dies den Betrieb nach Go-Live massgeblich vereinfacht und günstiger gestaltet. Gleichzeitig sind bereits 4000 Gesuche über den Dienstmanager gestellt worden, was zeigt, dass die AdA das neue Portal sehr gut annehmen. 

 
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Abb. 4: Dienstmanager Ansicht aus Sicht des Nutzers, dem AdA
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«Heute sind wir hochproduktiv, hocheffizient und haben eine direkte Kommunikation.»
Christian Zogg Programmleiter Digitalisierung Milizarmee

Fazit und Ausblick 

Die Einführung des Dienstmanagers ist sehr gut angekommen. Für den Erfolg war vor allem die gute Zusammenarbeit zwischen der Armee und dem technischen Team ausschlaggebend. Bis 2026 sollen alle Features im Portal umgesetzt werden, eines davon richtet sich z.B. an die Alumnis, mit dem sie alte Kameraden suchen und kontaktieren können, die Einführung des digitalen Marschbefehles oder des SBB-Tickets für Armeeangehörige auf dem SwissPass sowie die Bereitstellung des digitalen Urlaubspasses. Auch der Zivilschutz muss sein Dienstbüchlein ablösen und wird bis 2026 auf den Dienstmanager migrieren. Die Digitalsierungsreise der Schweizer Armee hat mit dem Dienstbüchlein somit einen sehr schönen und grossen ersten Schritt getan, es werden noch viele weitere folgen. 

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«Einen so komplexen und hochfrequentierten Prozess wie das Dienstverschiebungswesen, der jährlich rund 65'000 Gesuche umfasst, digital abwickeln zu können, ist ein grosser Erfolg.»
Michael Alexander Junker Chef Entwicklung & Projekte, Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS

In Zahlen – das wurde erreicht

 %

Datensicherheit

bei Darstellung von sensiblen persönlichen, sowie militärischen Daten

 %

Reduktion der Antwortzeit

von mehreren Wochen auf ein paar Tage

 

erfolgreich eingereichte Gesuche

in den ersten zwei Monaten

Tech-Box

Folgendes kam zum Einsatz

  • Angular
  • Kafka
  • Springboot
  • Rest API's
  • Microservices
  • Microfrontends
  • Event-driven Architektur
  • Domain-driven Design
  • ipt-Mindset ;-) 

Weiterführende Insights